Ein nicht entnazifiziertes Treppenhaus
oder: Wie bewältigen wir die Vergangenheitsbewältigung?

© Eric Fricke

Das Waldkircher Rathaus gehört sicherlich mit zu den schönsten historischen Gebäuden in unserer Stadt. Vor allem für die Holzdecke im Bürgersaal kann ich mich immer wieder begeistern. Damals musste nicht alles nüchtern und sachlich sein, auch die Ästhetik spielte eine Rolle.

Weniger ästhetisch geht es indes an den Wänden im Treppenhaus und vor dem Bürgersaal zu, dort, wo sich etliche Stadträte kurz vor der Gemeinderatssitzung noch eine schnelle Zigarette gönnen, bevor es an die Arbeit geht: Auf dem Putz greifen behelmte Wehrmachtssoldaten mit martialischem Gesichtsausdruck an, die Waffe im Anschlag; klischeehafte Mütter – selbstverständlich blond –, die dem Führer ein Kind (auch blond) schenken; ein Ackersmann, der den deutschen Mutterboden bestellt... es braucht nicht viel Fantasie, um im Geiste eine schnarrende Stimme aus dem Volksempfänger zu hören. Handwerklich gibt es an den Wandbildern nicht einmal arg viel auszusetzen, das Licht und die Proportionen stimmen einigermaßen, dennoch wäre der Begriff "Kunst" in diesem Zusammenhang daneben – "Kitsch in Reinkultur" wäre wohl angemessener. Die Wandgemälde stammen von dem Elztäler Künstler (nennen wir ihn in Ermangelung eines besseren Wortes einmal so) Josef Schroeder-Schoenenberg, der auch für das Kriegerdenkmal vor der Kollnauer Kirche (zumindest in, nun ja, künstlerischer Hinsicht) verantwortlich war.

Aber über künstlerischen Ausdruck kann man streiten, und letztlich geht es nicht um maltechnische Aspekte, sondern um die Aussage der Gemälde. Künstlerische Standpunkte dürften in diesem Falle ja nun wirklich keine Rolle spielen – wobei sich Ulrich Weissberger, Geschichtslehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium, auf seiner Homepage seltsamerweise genau darauf konzentriert: Seit dem Ende der Naziherrschaft in Waldkirch sind die Wandgemälde aus der Nazizeit ein Politikum. Übermalt, wieder freigelegt, kommentiert und in Leserbriefen kritisiert, sind sie es künstlerisch nicht wert, überhaupt wahrgenommen zu werden. [...] Vielleicht könnte ein Bild im städtischen Museum zeigen, welch Kitsch die Nazipropaganda war und wie sie die Naziwirklichkeit überdeckte.

Als die Diskussion im Juni 2003 wieder verstärkt aufflackerte, gab es übrigens eine Reihe von Leserbriefen in der Badischen Zeitung, die sich kritisch mit den Bildern auseinandersetzte. Weissberger veröffentlichte sie auf seiner Homepage.
Nun... fast alle. Den einen, der um ein wenig Augenmaß in der Diskussion bat, hat er wohl übersehen oder in der Aufregung vergessen, sodass bei ihm durch dieses bedauerliche Versehen nur Zuschriften zu finden sind, in denen ohne Wenn und Aber die Entfernung der Bilder gefordert wird. Ich zitiere mich hiermit selbst:

Zugegeben: Als Enkel eines Widerstandskämpfers beschleicht mich im Treppenaufgang immer wieder ein etwas ungutes Gefühl, wenn ich im Rathaus etwas zu erledigen habe. Was das betrifft, könnte man die Blut-und-Boden-Gemälde im Rathaus getrost den ortsansässigen Malerfirmen überlassen.
Allerdings macht man Verbrechen nicht dadurch ungeschehen, dass man ihre Symbole eliminiert. Hätte man etwa gleich nach dem Kriege die Konzentrationslager abreißen sollen?
Es sind nicht jene unseligen Bilder im Rathaus (es ist immerhin nur das Gebäude, nicht seine Funktion, der Entnazifizierung entgangen!), die die Demokratie gefährden, sondern das, wofür sie stehen. Aber Dinge wie Gewalt, Ausgrenzung, Hass finden in erster Linie in den Köpfen statt.
Immerhin bin ich darüber beruhigt, dass die Gemälde nach all den Jahren noch für Zündstoff sorgen; solange sie Emotionen auslösen, die nicht im Sinne der Urheber sind, kann ich mit den Bildern leben – auch wenn man die kleine Alibi-Hinweistafel schleunigst durch eine ausführlichere ersetzen sollte.
Dass Heinz Droßel keine Nazi-Symbole mehr sehen möchte, verstehe ich gut; mein Großvater hatte seinerzeit (noch vor 1945!) akribisch sämtliche Hakenkreuze in seinen amtlichen Unterlagen überklebt. Kann andererseits die schreckliche Vergangenheit ganz ohne greifbare Beispiele für die Nachgeborenen bleiben?
Schauen wir aber einmal über unseren Rathausbalkon hinaus. Totalitarismus hat viele Gesichter; die technischen Entwicklungen der letzten Jahre beispielsweise bieten – von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt – in den falschen Händen ein gigantisches Bedrohungspotenzial für Demokratie und Menschenrechte: Die Gestapo hätte ihre helle Freude daran gehabt.
Bleiben wir also – wie die Leserbriefschreiber der letzten Tage – wachsam!

Die Frage, was solche Bilder in einem demokratischen Rathause zu suchen haben, müsste eigentlich den Fragesteller selbst stutzig werden lassen – denn Tatsache ist nun einmal, dass das Waldkircher Rathaus zwischen 1933 und 1945 kein demokratisches war...

Fragen wir anders: Macht es Sinn, alle Nazi-Relikte verschwinden zu lassen? Macht es Sinn, sie zu tilgen, als... hätten sie nie existiert? Hier ist der Punkt, an dem man Bauchschmerzen bekommt. Stellt man sich damit gar auf eine Stufe mit "die Vergangenheit leugnen" bis hin (und hier wird es vollends unerträglich) zur "Auschwitzlüge"? Sollten wir uns nicht zur Vergangenheit bekennen? Und wer ist "wir"? Die meisten, die damals dabei waren, sind heute tot. Für die heutigen Jugendlichen ist Hitler so weit weg wie Napoleon; mussten sich ihre Eltern noch mit den eigenen Großvätern auseinandersetzen, ist das für den Nachwuchs nur noch abstrakte Geschichte. Ist das nun gut oder schlecht?
Man sieht: In Bezug auf die Vergangenheit scheint in Deutschland so etwas wie Normalität nicht zu existieren.

Vieles, das seine Wurzeln in der Zeit des Nationalsozialismus hatte, hat das Jahr 1945 überlebt (und nicht wenige, die damals hohe Positionen inne hatten, kamen auch in der Bundesrepublik wieder zu Ehren). Derjenige, der mit seinem Sportwagen über die Autobahn fährt, macht sich wohl keine Gedanken darüber, dass sein Gefährt den Namen des NSDAP-Mitglieds und SS-Oberführers Ferdinand Porsche trägt. Und die wenigsten der Millionen VW-Fahrer dürften über die Entstehungsgeschichte des Volkswagen-Konzerns nachdenken. Thyssen, Krupp, Degussa, Daimler-Benz – das sind nur einige der Unternehmen, die das Nazi-Regime unterstützt hatten. Und wir alle nutzen ihre Produkte – offenbar mit gutem Gewissen.

Natürlich rührt auch das Erscheinungsbild unserer Städte aus jener Zeit her. Man vergleiche: Der Straßenverkehr in Zürich ist, wie in allen Schweizer Großstädten (Genf vielleicht einmal ausgenommen) eine Katastrophe. Enge Straßen, abenteuerliche Verkehrsführung, unübersichtliche Kreuzungen... kein Wunder, schließlich sind die deutschen Städte im 2. Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht worden, der Wiederaufbau erfolgte zum einen verkehrsgerechter, zum anderen wollte man voller Pessimismus vermeiden, was den Städten während der Bombenangriffe durch ihre enge Bebauung mit schmalen Verkehrswegen zum Verhängnis geworden war: Feuersbrünste übersprangen die schmalen Straßen, die oft auch über ihre volle Breite verschüttet waren, die Feuerwehr kam nicht mehr weiter – und so findet man heute enge Straßen und Gassen nur noch in Stadtvierteln, die den Krieg mehr oder weniger unversehrt überstanden hatten.

Aber dies sind alles Dinge, die heute von den wenigsten Menschen noch mit dem Nationalsozialismus oder dem Krieg in Verbindung gebracht werden. Während mir (Jahrgang 1962) noch als Kind in den Sechzigerjahren viele Relikte aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 auffielen – Leuchtfarbenmarkierungen zu Luftschutzkellern in der Elsässer Straße in Freiburg beispielsweise –, fehlt gerade Jüngeren jeglicher Anhaltspunkt zur Vergangenheit: Ein Denk-Mal, gewissermaßen. Die meisten, die berichten könnten, sind inzwischen tot – darunter etliche jener im Krieg zu Krüppeln geschossenen, deren Anblick für mich als Kind durchaus nicht ungewöhnlich war: Dutzende von ihnen bevölkerten allsonntäglich die Versehrtenplätze im Freiburger West-Stadion, die meisten Mitte Vierzig bis Anfang Fünfzig, und in der Halbzeitpause erzählten sie sich gegenseitig, wie sie "wegen dem Iwan" oder "dem Franzmann" ihrer Gliedmaßen verlustig gegangen waren.

Tatsächlich ist meine Generation – bedingt durch die relative zeitliche Nähe – durch die Kriegs- und Nachkriegszeit stärker geprägt worden, als ihr möglicherweise in großen Teilen selbst bewusst ist; mein Vater beispielsweise verbrachte – knapp zwei Wochen vor seinem fünften Geburtstag – die Bombardierung Freiburgs am 27. November 1944 in einem Keller in Zähringen. Als ich achtzehn Jahre später zur Welt kam, gab es immer noch etliche Trümmergrundstücke in der Stadt. Auch sind mir genug alte Nazis während meiner Kindheit begegnet, die mich wegen meiner (schon damals) langen Haare anpflaumten und lamentierten, dass unter "dem Führer" alles besser gewesen sei. So etwas prägt – sei es, weil die verbliebenen Reste meiner Haare immer noch einen guten halben Meter lang sind, sei es, weil ich gerne die Hände in die Hosentasche stecke, was es (wie ich mir oft genug anhören musste) unter Adolf nicht gegeben habe...

Nun nehmen wir einmal an, wir beseitigten alle Überbleibsel aus Deutschlands unseliger Zeit. Wie konsequent müssten wir vorgehen? Der Waldkircher Historiker Wolfram Wette schrieb mir anlässlich einer noch andauernden (und durchaus fruchtbaren) Diskussion: "Ich denke, der Respekt vor den Opfern erfordert den Verzicht auf eine selektive Erinnerung an ‘gute Seiten' von Tätern des Holocaust."

Wie schwer das ist, mag das Beispiel Ferdinand Porsches zeigen. Die Produktion in seinem Werk konnte er seinerzeit beispielsweise nur dadurch aufrecht erhalten, indem er Personal direkt von der Rampe in Auschwitz in die "Stadt des KdF-Wagens", wie Wolfsburg damals hieß, verbringen ließ – was deren Schicksal keinesfalls verbesserte. Wie soll man mit den Werken eines Menschen umgehen, der sich aus technischem Ehrgeiz mit den Mördern auf eine Stufe stellte? Denn auf der anderen Seite war Porsche zweifellos genial, er war einer der fähigsten Konstrukteure in der Geschichte des Automobils – dies ist ebenso eine objektive Tatsache wie sein Nießnutz an den Verbrechen.

Bei Menschen, die ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten direkt im Dienste des Regimes nutzten, tut man sich leichter. Leni Riefenstahl war eine Virtuosin des Lichts, ihre Kameraführung war atemberaubend, ihr Sinn für Bildausschnitte großartig. Leider lebte sie ihre Genialität praktisch ausschließlich zu Propagandazwecken aus, worauf sie Zeit ihres langen Lebens auch noch stolz war.

Wir haben es auf der einen Seite also mit einem genialen Konstrukteur zu tun, für den der Nationalsozialismus eine Möglichkeit bot, sich automobilistisch zu verwirklichen. Die Einschätzung mancher Biografen, dass Ferdinand Porsche kein Nazi gewesen sei, ist allenfalls insofern zutreffend, als dass ihm das Regime, das ihm die Realisierung seiner Pläne ermöglichte, ziemlich egal gewesen sein dürfte. Er hätte sich vermutlich in Russland ebenso selbst verwirklicht – ein entsprechendes Angebot hatte er in den Dreißigerjahren mit der Begründung abgelehnt, er sei zu alt, um Russisch zu lernen. Auf der anderen Seite ordnete Leni Riefenstahl ihr gesamtes Können dem Nationalsozialismus unter, sie prägte die Propaganda entscheidend mit. Schaltete Porsche auf stur, wenn er seine Projekte gefährdet sah, versuchte er gar, konkurrierende NS-Organisationen gegeneinander auszuspielen, beließ es Leni Riefenstahl bei ihren Schwärmereien für den "Führer" – gerade dadurch gibt es bei ihr, diskutiert man über ihr Leben und Schaffen, sehr viel weniger Ambivalenz. Aber wo ist nun der moralische Unterschied zwischen Porsche und Riefenstahl?

Stellen wir also noch einmal die Frage: Warum fahren wir Volkswagen, können aber nicht mit einem Nazi-Gemälde im Rathaus leben? Wurde Volkswagen endgültig entnazifiziert, als die Hippies in den Sechzigerjahren den VW-Bus als ideales Fortbewegungsmittel entdeckten, reichte aber die Demokratisierung des Waldkircher Rathauses nicht für Schroeder-Schoenenbergs Machwerke mit aus? Zugegeben, die Bilder zeigen Propaganda pur. Das macht sie aber wieder zu einem historischen Dokument – einem Beleg dessen, was damals passiert ist; auch in unserer Heimatstadt. Und das – ausschließlich das! – verleiht ihnen einen Wert.

Es hat schon manchen erstaunt, in meinem Bücherschrank ein Exemplar von "Mein Kampf" zu finden. Es stellt sich aber wohl nicht die Frage, ob so ein Buch in einem demokratischen Haushalt etwas zu suchen hat: Wer sich aus ernsthaftem historischen Interesse mit der Zeit des Nationalsozialismus befasst, wird früher oder später auch mal ein Exemplar auftreiben, um festzustellen, dass die Lektüre eine Strafe ist.

Natürlich, ich hätte das Buch nach dem Lesen wegwerfen können. Es ist ja nur übelste Hetze, zudem noch ein stilistisches Brechmittel. Andererseits wird niemand umhin kommen, zuzugeben, dass dieser literarische Tiefpunkt des 20. Jahrhunderts selbst in Form einer leicht zerfledderten Volksausgabe ein historisches Dokument ist. Mein Großvater hatte es ausgiebig studiert, um Argumente gegen Hitler zu sammeln – er war damit so erfolgreich, dass ihm ein wutentbrannter SA-Mann bei der Erstürmung einer KPD-Versammlung in Freiburg ein Bierglas auf dem Kopf zerschlug, was meinen Großvater in seiner antifaschistischen Haltung aber eher noch bestärkte.

Nazi-Relikte, Kriegsüberbleibsel, so weit das Auge reicht: Die Apollo-Rakete, die die Menschen zum Mond brachte – zu ihren Vorgängern gehörte die V2, die Tod und Zerstörung über den Ärmelkanal schickte. An beiden maßgeblich beteiligt: Wernher von Braun. Die NASA-Website schweigt sich vorsorglich über tausende von toten Zwangsarbeitern in den Stollen von Peenemünde aus. Alte Berliner Straßenbäume, die sich dem Fällen widersetzen, weil sie mit Bombensplittern gespickt sind. Blindgängerfunde, fast sechzig Jahre nach der Kapitulation. Peinliche Jubiläumsschriften von Vereinen – 1933 bis 1945: zwei Zeilen. Und natürlich Unternehmen, die damals groß wurden.

Aber es verblassen die Bilder vom Opa in Wehrmachtsuniform, es wächst eine Generation heran, die keinerlei Bezug zu dem Mann in Feldgrau auf dem eselsohrigen Bild hat. Irgendein entfernter Vorfahr, kaum, dass man noch den Namen kennt. Die Protagonisten: tot. Die Wunden in den Städten: verheilt. Die Verbrechen: Geschichte. Die irgendwann unvermeidliche Frage: Was geht mich das an? Ich habe damit so viel zu tun wie mit der Schlacht im Teutoburger Wald! Das ist weit weg, in Zeit, aber auch in Raum; die alten Wochenschauen, das ist doch alles Berlin und so. Gab's das bei uns überhaupt?

Ja, den Nationalsozialismus gab es auch in Waldkirch – er hat seine Spuren im Rathaus hinterlassen. Aber machen wir uns doch auch klar, dass genau diese Spuren in Form von Schroeder-Schoenenbergs Bildern dazu beitragen, das Thema "Nationalsozialismus in Waldkirch" wachzuhalten! Geschichtsbücher reichen nicht, schon gar nicht in der Kleinstadt, wo eben keine große Politik gemacht wurde!

Natürlich spielen auch noch andere Dinge in die Diskussion hinein, so zum Beispiel das immer wieder gehörte Vorurteil, Waldkirch sei ein "braunes Nest". Freilich, Karl Jäger hatte hier gelebt, bevor er zum Massenmörder wurde. Andererseits käme wohl kaum einer auf den Gedanken, seinen Geburtsort Schaffhausen als "braunes Nest" zu bezeichnen. Und freilich, wir hatten zwischen 1933 und 1945 einen NSDAP-Bürgermeister. Der hieß Kellmayer und besaß 1957 die Unverschämtheit, erneut für das Bürgermeisteramt zu kandidieren – und 1500 Waldkircher besaßen die Unverschämtheit, ihm ihre Stimme zu geben, was aber zum Glück nicht zum Wahlsieg reichte.

Erfreulicherweise hat die jüngere Waldkircher Stadtgeschichte aber auch Namen wie Georg Scholz oder Max Barth aufzuweisen – Namen, die leider bei der Aufarbeitung jener Zeit oft genug eine Nebenrolle spielen. Vielleicht sollte man öfter mal über Menschen sprechen, die Vorbildcharakter haben, aber das ist ein anderes Thema...

Nun gut, es will mir jedenfalls scheinen, als sei Waldkirch nicht "schlimmer" oder "besser" gewesen als der Rest des Reiches, ebenso in der Zeit danach, auch wenn es zweifellos immer wieder rechte Tendenzen gab – siehe auch die bundesweiten Wahlerfolge der NPD Ende der Sechzigerjahre. Historiker vermuten, dass in der Bundesrepublik seit jeher etwa fünf Prozent der Bevölkerung nationalsozialistischem Gedankengut nahe standen bzw. noch stehen. Diese Zahl wird in Waldkirch heute auch nicht höher liegen als anderswo – beruhigend ist das natürlich trotzdem nicht, auch wenn man sicher festhalten kann, dass ein Kellmayer mittlerweile keine Chancen mehr hätte: Die Zeiten haben sich geändert, die Bevölkerung aus Altersgründen auch.

Ich kenne niemanden, der den Wandbildern im Rathaus nachtrauern würde. Aber weg ist weg: Die Zeugnisse dafür, dass einmal ein Kellmayer jenen Platz einnahm, auf dem heute ein Sozialdemokrat sitzt, werden in Archiven verstauben. Die Erinnerung daran, dass dort, wo heute demokratisch gewählte Stadträte in der Sitzungspause eine Zigarette rauchen, Braunhemden ihre Schaftstiefel auf die Holztreppe knallen ließen, wird verschwunden sein. Ist das wirklich einmal hier passiert?

Es mag aber einen Kompromiss geben. Man könnte bei einer anstehenden Renovierung getrost die Bilder verschwinden lassen – sollte aber eine Stelle erhalten. Mein Vorschlag wäre eben jene "Raucherecke" unseres Gemeinderates – jener Teil des Gemäldes, der seine propagandistische Absicht mit am stärksten zeigt. Auf diese Stelle konzentriert, wäre endlich auch einmal eine angemessene Kommentierung möglich, deren typografische Gestaltung ich mit Freude kostenlos übernehmen würde.

Wenn es auch in Zukunft genügend Raucher in unserem Gemeinderat gibt, wird das Restgemälde irgendwann einmal unter einer braunen Patina verschwinden – und das wäre ja auch eine schöne Symbolik!

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